Können wir durch einen einzigen Tag die Zukunft einer Generation verändern? Als Anna vor 24 Jahren zum ersten Girls’Day ging, hätte sie nie gedacht, dass sie heute als Ingenieurin arbeiten würde. Ist diese Geschichte wahr? Das werden wir wohl nie erfahren, da es bislang an umfassenden Langzeitstudien zur tatsächlichen Wirksamkeit des Girls’Day als Interventionsprogramm mangelt und generell diese Daten schwer zu erfassen sind. Seit 2001 standen beim Girls’Day für Mädchen 2,1 Millionen Plätze zur Verfügung und allein dieses Jahr gab es bundesweit 174.000 Stellen für neugierige Teilnehmerinnen. Kein Wunder, dass sich der Girls’Day zu einem Leuchtturmprojekt der deutschen Bildungspolitik entwickelt hat, um Mädchen die Türen zu traditionell männerdominierten Berufen zu öffnen. Hier geht es zur aktuellen Pressemitteilung zum Girls’Day des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Kritische Reflexion: Fragen die wir uns stellen
Neben der offensichtlich positiven Intention gibt es viele Fragen, die kritisch diskutiert werden können. Wie wirksam ist ein einziger Tag? Helfen geschlechterspezifische Angebote, Geschlechterstereotype abzubauen oder verstärken sie womöglich die Kluft? Wie stehen wir zu der immer deutlicher werdenden doppelten Motivationslage? Einerseits geht es um Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit, andererseits um wirtschaftspolitische Interessen im Kontext des Fachkräftemangels.
Dazu kommt, dass wir als männliche Betreiber des Makerspaces nicht aus einer Betroffenheit heraus urteilen und somit gar keine Vorbildfunktion erfüllen können. Wir können lediglich unsere Beobachtungen aus unserer langjährigen Bildungsarbeit evaluieren und versuchen nachzuempfinden, wie es sich anfühlt, wenn einem kategorisch gewisse Kompetenzen abgesprochen werden.
Unser Ansatz: Faszination statt Berufsorientierung
Unser Girls’Day-Angebot heißt „3D-Druck Fachkraft“, denn dem Girls’Day ist es geschuldet, dass wir einen Beruf wählen. Allerdings geht es bei uns weniger um einen bestimmten Beruf als darum, Faszination für Technik zu wecken, Mut zu machen und zu begeistern.
Dieses Jahr haben wir in Kooperation mit unserem Sponsor, der Schunk Group, zum dritten Mal in Folge ein Girls’Day-Angebot im Makerspace zur Verfügung gestellt, da uns die positiven Erfahrungen darin bestärken, dass wir das Richtige tun. Zudem ist es neben unseren zahlreichen anderen offenen Angeboten das einzige dieser Art. Nächstes Jahr werden wir es wieder tun, und nun erzählen wir dir warum:
Der Tag beginnt: Vom Zögern zur Begeisterung
In der Regel findet der Girls’Day Ende April statt. Unser Angebot für den Space veröffentlichen wir meist schon im Januar, und in den letzten drei Jahren waren die 25 Plätze dann Ende Januar auch schon alle belegt. Bereits diese positive Resonanz im Vorfeld bestärkt uns natürlich enorm und lässt die Vorfreude auf den Tag steigen. Am Girls’Day selbst kommen dann 25 Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren aus Gießen, aber auch aus Butzbach, Wetzlar, Hüttenberg, Pohlheim und vielen anderen Städten und Dörfern zu uns.
Zu Beginn ist die allgemeine Stimmung noch ruhig und zurückhaltend, aber spätestens wenn es darum geht, wer schon einmal einen 3D-Drucker gesehen oder sogar bedient hat, ist das Eis bei den meisten Teilnehmerinnen gebrochen. Viele haben bereits Drucker in ihrer Schule oder sogar bei ihrem Papa im Keller gesehen, aber kaum eine Teilnehmerin hat jemals einen bedient.
Horizonte erweitern: Von der Medizintechnik bis zum Modedesign
Zu Beginn besprechen wir jedes Jahr die Berufe, in denen man 3D-Druck und CAD-Design gebrauchen kann, und jedes Mal ist das Erstaunen groß, wenn wir eine Liste mit über 30 Berufsbildern aus dem Hut zaubern – von Medizintechniker:in über Innenarchitekt:in und Orthopädietechniker:in bis hin zu Mode- und Accessoire-Designer:in. Klar, nicht alle Berufe sind rein technisch. Bei uns im Makerspace geht es aber weniger darum, spezielle Berufsbilder vorzustellen, sondern vielmehr darum, Interesse für verschiedene Technologien zu wecken. Das funktioniert aus unserer Erfahrung am besten über einen bunten Blumenstrauß an Möglichkeiten, aus denen sich dann jede Teilnehmerin, geleitet durch ihr persönliches Interesse, einen Anknüpfungspunkt suchen kann.
Vom Wissen zur Motivation: Persönliche Bezüge schaffen
Wir wissen alle, dass wir leicht lernen, wenn wir motiviert sind, und eine Möglichkeit motiviert zu sein ist es, einen persönlichen Bezug herzustellen. Motivation und Faszination wecken – diese Elemente stehen immer zu Beginn all unserer Angebote. Wir zeigen die breiten Einsatzmöglichkeiten der Technologien und gehen dabei auch auf zukunftsweisende Forschung ein, z.B. 3D-Druck in der Medizin. Wir zeigen Projekte aus der Werkstatt von anderen Macherinnen und erzählen ihre motivierenden Geschichten – z.B. von einer jungen Frau, die mittels eines 3D-Scans und 3D-Druck ihren Reisekoffer innerhalb von 90 Minuten repariert hat und am nächsten Tag mit dem selbst reparierten Koffer in den Urlaub gefahren ist.
Aus Theorie wird Praxis: Hands-on-Erfahrung
Und wenn dann die Augen so richtig leuchten, legen wir los mit der Praxis. Wir führen den gesamten Prozess einmal modellhaft vor, besprechen die wichtigsten Begriffe, und dann wird konstruiert, recherchiert, ausprobiert, gedruckt und nachbearbeitet. Den Abschluss bildet immer eine Rückschau und ein kleines Wissensquiz: Wofür steht PLA und wofür ist der Kunststoff geeignet? An welcher Stelle im Designprozess erhalten wir einen G-Code und was ist das überhaupt? Was würde ich 3D-drucken – eine Tankkappe eines Oldtimers oder einen klassischen Legostein?
„Das ist ja babyleicht“: Erfolgserlebnisse schaffen
Bei der abschließenden Frage, ob die Teilnehmerinnen den Eindruck haben, dass sie wissen, was sie tun müssen, wenn sie etwas drucken möchten, gehen die Daumen nach oben, und meist hören wir dann noch Bemerkungen wie: „Das ist ja babyleicht“ oder „Ich habe es mir schwieriger vorgestellt.“ Diesen positiven Schwung, gekoppelt an ein selbst gedrucktes 3D-Namensschild und an das wohltuende Gefühl der Ermächtigung über eine Technologie nehmen sie mit. Wir zeigen den Teilnehmerinnen, wie sie die Werkstatt jederzeit für ihre eigenen Projekte nutzen können – viermal die Woche, einfach so, ohne Anmeldung.
Nachhaltiger Erfolg: Ein Tag kann Zukunft verändern
Und wenn wir dann ein bis zwei Wochen später eine Handvoll Mädchen in der offenen Werkstattzeit wiedersehen, wie sie aufgeregt tuscheln und zwischen PC und 3D-Drucker hin und her flitzen, dann wissen wir, dass manchmal auch nur ein Tag, ja sogar nur ein paar Stunden reichen, um etwas zu verändern. Um Interesse zu wecken, Mut zu machen, sich selbst einen neuen Weg zu erobern. Und genau deswegen wird es auch nächstes Jahr wieder einen Girls’Day bei uns im Makerspace geben.
Dank an unsere Unterstützer:innen
An dieser Stelle möchten wir uns auch ganz herzlich für die Sponsoring-Kooperation mit der Schunk Group bedanken. Durch die finanzielle Unterstützung wird es uns überhaupt erst möglich gemacht, diese Angebote zur Verfügung zu stellen und vielen jungen Menschen freie Bildung in der Region zugutekommen zu lassen.