Nachhaltigkeitsimpulsabend gibt Blick hinter die Kulissen

Wie setzen die Unternehmen in der Region Nachhaltigkeit um? Dieser Frage ging der Impulsabend im Makerspace Gießen nach.

Am Dienstag, den 21.03.23, fand seit langem wieder ein Impulsabend im Makerspace Gießen in Präsenz statt. „Für uns war es auch ein gewisser Nervenkitzel, weil wir ohne Voranmeldungen gar nicht wussten, wie viele Leute wirklich erscheinen werden. Umso schöner war es zu sehen, dass die Menschen aus der Region auch nach Corona immer noch Spaß an Präsenzveranstaltungen haben. Die Plätze waren fast vollständig belegt und wir positiv überrascht, dass so viele neue Gesichter dabei waren.“

Das Thema des Abends: „Neue Chancen durch Nachhaltigkeit“ – Wie können Unternehmen und die gesamte Gesellschaft Nachhaltigkeit nicht nur als Zwang und Bürde begreifen, sondern positive Chancen daraus ziehen? Dieser Frage stellten sich im Impuls-Format vier Referent:innen mit kurzen Vorträgen.

Den Anfang machte Alexander Trampisch von der SwissCommerce, einer Online-Plattform mit mehreren Nischen-Online-Shops aus Deutschland, der Schweiz und Schweden. Das Unternehmen hat über 300 Mitarbeitende, 28 Online-Shops und 3 Logistik-Center. In seinem Impuls zeigte er auf, wie ein Unternehmen dieser Größe trotz wirtschaftlicher Zwänge ein schlankes und funktionierendes Nachhaltigkeitsmanagement aufsetzen kann. Unter anderem empfiehlt er Nachhaltigkeit als Marathon und nicht als Sprint zu betrachten und kleine Schritte dennoch zeitnah umzusetzen, um motiviert zu bleiben. Besonders wichtig ist außerdem eine gute Kommunikation mit allen Beteiligten. Neben Einblicken in die Nachhaltigkeitsstrategie, das eigene Projektmanagement und den erstellten Nachhaltigkeits-Kompass, zeigte der Vortrag auch die erstellte Wesentlichkeitsmatrix. Anfangs gab es große Unsicherheiten hinsichtlich Green Washing und dem Spannungsfeld „Tagesgeschäft vs. Nachhaltigkeit als Zusatzbelastung“. Mit dem Ansatz „better done than perfect“ konnte SwissCommerce aber erste Erfolge feiern und ist weiterhin motiviert den Marathon weiterzulaufen.

Denis Schander konnte hier direkt gut anknüpfen: Er ist Geschäftsführer der HGO GmbH – The ReCommerce Company, einem Unternehmen mit Sitz in Nidda, das Retouren managed und kaputte Dinge wieder instand setzt. Hierfür gab er Einblicke in das ausgeklügelte Logistiksystem, die Tätigkeitsbereiche und auch die Retourenbranche an sich. Dass massenhaft Waren verschrottet werden, hat er in seinen 20 Jahren Berufserfahrung noch nicht erlebt. Die Verschrottung ist laut ihm nämlich die denkbar schlechteste Art, mit Retouren umzugehen.

„Wir durften Denis eine Woche vor seinem Vortrag besuchen und waren baff, was er mit seinem Team alles leistet: Ob Drohne, Fernseher, Kühlschrank, Ofen oder Spezialwerkzeug – hier wird wirklich alles repariert. Der Kontakt kam zustande, nachdem Mitarbeiter der HGO zum 3D-Scannen im Makerspace waren und mit dem gescannten und danach ausgedruckten Ersatzteil eine Wohnmobil-Markise reparieren konnten. So wird Müll gespart und die Umwelt geschont. Mittlerweile hat die HGO auch einen 3D-Scanner angeschafft und setzt diesen im Reparatur-Prozess ein.“ leitete Nils Seipel den Impuls ein.

Dr. Lukas Käßer, von der Firma Green Elephant Biotech, einem Spin-Off der Technischen Hochschule Mittelhessen, zeigte den Einfluss von Einweg-Laborplastik auf das Klima auf: Alleine Labormüll weltweit ist für eine Menge an CO2-Emission verantwortlich, die 4 Mal so hoch ist wie die der gesamten deutschen Abfallwirtschaft. Auch in der Biotechnologie werde in Laboren derzeit fast ausschließlich erdölbasierter Kunststoff für die Kultivierung von Zellen eingesetzt. Zum Glück hatte er auch eine Lösung im Gepäck: Die Kultivierungsflasche aus dem 3D-Drucker, hergestellt aus pflanzenbasiertem Biokunststoff. Durch diesen wird nach dem Gebrauch der Flaschen nur die Menge an CO2 frei, die zuvor in den Pflanzen, in diesem Fall Mais, gebunden war.

Die Fertigung im 3D-Drucker hat einen weiteren entscheidenden Vorteil: Durch sie ist eine Struktur möglich, die Laboren eine viel größere Kultivierungsoberfläche bietet als konventionelle Systeme. Insgesamt wird so deutlich weniger Plastik für die Kultivierung von Zellen benötigt. Eine besondere Verbindung hat das Startup aus Gießen zum Makerspace: Der Erfinder, Joel Eichmann, hat im allerersten 3D-Druck-Workshop des Makerspace Gießen 2018 teilgenommen und dort erste Schritte im wegweisenden Verfahren für seine Erfindung gemacht. „Wir freuen uns sehr, dass Green Elephant Biotech eine so sinnvolle Anwendung für den 3D-Druck gefunden hat, und wünschen ihnen nur das Beste auf ihrem weiteren Weg!“ erklärt Johannes Schmid vom Makerspace.

Zum Abschluss des Abends gab Prof. Dr. Isabell Lenz, von der THM Business School, eine Einordnung des bereits Gehörten und zeigte die Trends rund um unternehmerische Nachhaltigkeit auf. Von frühen Pionieren wie Patagonia oder Teppich-Produzent Interface, gab sie einen Überblick der Entwicklung bis heute. Ihr Credo „Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben!“ untermauerte sie mit Beispielen aus der aktuellen EU-Regulatorik wie dem Lieferkettengesetz, der Green-Claims Richtlinie oder der Corporate Social Responsibility Directive. Diese neuen Regeln werden laut Prof. Lenz nicht nur direkt bei den betroffenen großen und mittleren Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit führen, sondern auch indirekt Lieferanten betreffen. Zum Ende ihres Impulses regte sie noch dazu an, Nachhaltigkeit auch über das bekannte Maß hinaus als Chance zu begreifen und zum Beispiel nicht nur den Einfluss von Unternehmen auf Umwelt und Mensch zu minimieren, sondern vielleicht sogar einen positiven und regenerativen Beitrag zu leisten: „Was wäre, wenn Mitarbeitende „frischer“ von der Arbeit kommen als sie morgens begonnen haben?“

Im Anschluss an die Vorträge entspann sich jeweils eine lebhafte Diskussion und das Publikum hatte viele Fragen, die die Referent:innen gerne beantworteten. Auch nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung wurde noch über eine Stunde lebhaft diskutiert. Die Nachfrage zeigt: Nachhaltigkeit ist scheinbar wirklich gekommen, um zu bleiben.